Das Ende des Prager Judenviertels

Die Josephstadt

Seine Eigenständigkeit verlor das Prager Ghetto erst im Jahre 1849. Fortan trug es den Namen Josephstadt (Josefov), zu Ehren von Kaiser Joseph II, der den Juden viele bürgerliche Rechte einräumte. Das Josefov wurde zum V. Stadtteil von Prag. Die Freizügigkeit und damit die vollen bürgerlichen Rechte erhielten die jüdischen Einwohner aber erst 1861.

So überfällig und erfreulich dieser Umstand für die jüdische Bevölkerung war, so schlimm waren die Folgen für das ehemalige Ghetto: Wer immer es sich nun leisten konnte, kehrte der Josephstadt den Rücken zu. Zwar gab es für betuchte Juden auch schon vorher die Möglichkeit, sich außerhalb des Viertels anzusiedeln, doch nun setzte geradezu ein Exodus ein. Während um 1850 der Anteil der Juden noch bei 80% lag, war er 1890 schon auf 20% gesunken. Zurück blieb die ärmere jüdische Bevölkerung des ursprünglichen Ghettos, die sich den billigen Wohnraum nun mit allen anderen unteren Schichten von Prag teilte.

Das Stadtviertel verkam dadurch zusehends und die hygienischen Zustände verschlimmerten sich dramatisch. Neben den sozialen Randgruppen, die sich nun in dem übervölkerten Stadtviertel niederließen und das Josefov auch zu einem Ort der Kriminalität und Prostitution machten, waren die sanitären Verhältnisse im Josefov katastrophal. Es gab keine richtige Kanalisation und über die Gassen huschten Tausende von Ratten. Entsprechend hoch waren deshalb die Infektionsgefahr und die Sterblichkeitsziffer. Schriftsteller mochten in dem Verfall und Niedergang eine nichtversiegende Quelle zur Inspiration finden, die Stadtväter dachten da schon prosaischer: Neben dem sicherlich vorhandenen Willen, das Stadtviertel von Grund auf zu sanieren, ergab sich hier doch auch die Möglichkeit auf einfache Weise an billigen Baugrund in bester Lage zu kommen, zumal die Eigentumsverhältnisse in der alten Judenstadt oft nicht mehr eindeutig zu klären waren.

Die Assanierung der Prager Judenstadt

Darum beratschlagte der Stadtrat schon seit 1856 über die komplette Sanierung des Viertels. Nachdem das Assanierungsgesetz 1893 von Kaiser Franz Josef I. unterzeichnet wurde, begann man mit dem fast kompletten Abriss des ehemaligen Ghettos, Teilen der Altstadt und dem Altstädter Ring. Innerhalb von zwei Jahrzehnten fielen allein im Josefov mehr als 260 Gebäude der Spitzhacke zum Opfer. Widerstand gegen diesen Kahlschlag formierte sich erst spät und blieb ohne Wirkung. Nur sechs von ursprünglich neun Synagogen, das Rathausgebäude und Teile der historischen jüdischen Friedhofs blieben verschont.

Doch nicht nur Gebäude wurden abgerissen, sondern auch das Straßennetz der Josefstadt sollte vereinfacht werden. Als Hauptstrasse sollte fortan die heutige Parizska trida fungieren, die in einer Breite von 24 Metern vom Altstädter Ring gegen Norden führt. Hier plante man eine Art Gegenpol zum Wenzelsplatz, das mit den neu erbauten Jugendstil- und Neubarockhäusern ein moderner Grosstadtboulevard werden sollte. Doch die Vorstellung von einem zweiten großen Boulevard setzte sich nicht durch.