Kafkas Vortrag im Jüdischen Rathaus
Franz Kafka als Organisator
Es sind nur noch wenige Tage bis zum Rezitationsabend seines Freundes Jizchak Löwy, der am 18.2.1912 im Festtagssaal des Jüdischen Rathauses stattfinden soll und Kafka ist in Aufregung. Nicht nur, dass er als Organisator des Abends die Rolle des "Mädchens für alles" übernommen hat und sich von der Nummerierung der Sitzplätze, dem Kartenverkauf, den Einladungen und der Kommunikation mit der Gemeinde nahezu um jede Einzelheit kümmern muss, nun ist ihm auch noch sein guter Freund Oskar Baum endgültig abgesprungen, der ursprünglich die einleitende Rede zum Abend halten sollte. Per Rohrpost kam die endgültige Absage Baums nachdem Kafka Tage zuvor noch einen letzten Überredungsversuch unternahm. Nun musste Kafka diesen Part auch noch übernehmen. Es traf ihn nicht gänzlich unvorbereitet, im Tagebuch hält er seitenweise Lektüre zu dem Thema fest. Nach zwei Wochen der Unruhe und des Zögerns gelang Kafka dann schließlich doch noch am Abend davor seine Fertigstellung. Die Rede Kafkas ist in einer Abschrift von Max Brod und seiner späteren Frau Elsa Taussig mit dem Titel "Einleitungsvortrag über Jargon" erhalten geblieben.
Der Vortrag ist Ausdruck einer intensiven Beschäftigung mit dem Ostjudentum, der mit diesem Vortragsabend auch seinen Höhepunkt findet. Jizchak Löwy kannte Kafka von seinen Auftritten einer Lemberger Schauspieltruppe her, die 1911 im damaligen Cafe Savoy mit Stücken, Liedern und Rezitationen auftrat. In der Folgezeit freundeten sich die beiden an und Kafka war immer wieder bemüht der Theatergruppe, später auch Löwy allein Auftritte zu verschaffen.
Fazit: Gelungener Abend bei leerer Kasse
Was die eigenen Leistungen angeht, verwendete Kafka nur selten allzu positive Formulierungen. Eine Ausnahme bilden seine öffentlichen Auftritte. Wie schon wenig später bei einer Lesung im Spiegelsaal des "Erzherzog Stephan", wo er seine Erzählung "Das Urteil" vortrug und noch in der gleichen Nacht euphorisiert an seine Verlobte Felice Bauer schrieb, so ist auch sein Tagebucheintrag nach dem Rezitationsabend im Jüdischen Rathaus von einer ähnlichen Euphorie getragen:
Freude an L. (=Löwy) und Vertrauen zu ihm, stolzes überirdisches Bewußtsein während meines Vortrages (Kälte gegen das Publikum, nur der Mangel an Übung hindert mich an der Freiheit der begeisterten Bewegung) starke Stimme, müheloses Gedächtnis, Anerkennung, vor allem aber die Macht mit der ich laut, bestimmt, entschlossen, fehlerfrei, unaufhaltsam, mit klaren Augen, fast nebenbei, die Frechheit der drei Rathausdiener unterdrücke und ihnen statt der verlangten 12K nur 6K gebe und diese noch wie ein großer Herr. Da zeigen sich Kräfte, denen ich mich gerne anvertrauen möchte, wenn sie bleiben wollten.
Tagebucheintrag vom 25.2.1912
Doch im folgenden Satz erkennt der Leser auch wieder das Wasser, das dem Wein immer beigemischt bleibt, als er in Klammer hinterhersetzt, dass die Eltern nicht anwesend waren. Doch nicht nur die Eltern blieben fern, auch sonst gab es in den Zuschauerreihen des Festsaals größere Lücken. Die Einnahmen waren sogar so gering, dass man um die Erstattung der Saalmiete nachfragen musste, weil Löwy nicht einmal mehr das Geld für eine Rückfahrkarte nach Warschau übrig blieb.
Dennoch war der Auftritt auch für Jizchak Löwy ein Erfolg, erweiterte der in künstlerischer Hinsicht gelungene Abend doch fortan seine beruflichen Möglichkeiten. Zwar nahm er noch in den Folgejahren einige Engagements in verschiedenen Theatergruppen an, doch ab Mitte der 20er-Jahre trat er vorwiegend nur noch in Lesungen und Wortvorträgen auf.
Positiv, wenn auch etwas oberflächlich, war eine kurze Besprechung des Abends in der jüdischen Wochenzeitschrift "Selbstwehr" vom 23.2.1912:
Am 18. Februar 1912 fand im Festsaal des jüdischen Rathauses der angekündigte Rezitationsabend des Warschauer Schauspielers Herrn J. Loewy statt. Nach einer feinen und liebenswürdigen Konferenz, die Herr Dr. Kafka hielt, eröffnete Herr Loewy seine Darbietungen mit einigen Rezitationen, und gab in bunter Fülle Ernstes und Heiteres, Rezitation, dramatische Szenen und Gesang."
Adresse:
Maiselova 250/18, 110 00 Josefov, Prag
Wegbeschreibung:
Man geht vom Altstädter Ring in die Pařížská und geht diese immer gerade aus. Linker Hand kommt dann die der Gebäudekomplex des Jüdischen Rathauses.