Die beiden Prager Fensterstürze
Die "Prager Fensterstürze" markieren symbolträchtige Wendepunkte in der europäischen Geschichte, da sie jeweils heftige religiöse und politische Konflikte auslösten. Während die ersten beiden Fensterstürze (1419 und 1618) zu den Hussitenkriege und dem Dreißigjährigen Krieg führten und die europäische Religionslandschaft prägten, markierte der dritte Fenstersturz (1948) den Beginn der kommunistischen Vorherrschaft in der Tschechoslowakei. Der Vorgang, bei dem der damalige tschechoslowakische Außenminister Jan Masaryk ermordet wurde, erreichte jedoch nicht die geschichtliche Bedeutung der beiden früheren Ereignisse und wird hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt.
Der erste Prager Fenstersturz 1419
Der erste Prager Fenstersturz ereignete sich am 30. Juli 1419 in der Altstadt von Prag und war eng mit den Spannungen zwischen den Hussiten und der katholischen Kirche verbunden. Dieser Konflikt stand im Kontext der Hussitenbewegung, einer frühen reformatorischen Bewegung, die vom Prediger Jan Hus inspiriert war und eine Erneuerung der katholischen Kirche forderte. Die Hussiten kritisierten insbesondere den Reichtum und die Macht der Kirche und setzten sich für die Verbreitung der Bibel in der Volkssprache sowie für ein Abendmahl in beiderlei Gestalt (also sowohl Brot als auch Wein) ein.
Auslöser und Ort des Geschehens
Der unmittelbare Auslöser für den Fenstersturz war die Weigerung der Stadtverwaltung von Neu-Prag, gefangene Hussiten freizulassen. Am Morgen des 30. Juli 1419 zog eine Gruppe hussitischer Anhänger unter der Führung von Jan Želivský, einem radikalen Prediger, durch Prag und begab sich zum Neustädter Rathaus. Nach einem erhitzten Wortwechsel stürmten die Hussiten das Gebäude und warfen mehrere Mitglieder der Stadtverwaltung aus den Fenstern des Rathauses. Die Gefallenen wurden entweder durch den Sturz selbst oder durch die aufgebrachte Menge, die sich vor dem Rathaus versammelt hatte, getötet.
Historische Folgen
Der erste Prager Fenstersturz führte zu einer weiteren Radikalisierung der Hussitenbewegung und war der Auftakt zu den sogenannten Hussitenkriegen, die Böhmen in den folgenden Jahrzehnten prägten. Nach dem Tod von König Wenzel IV. kurz nach dem Vorfall eskalierte der Konflikt und mündete in einen offenen Krieg zwischen den Hussiten und den katholischen Kräften, die vom Heiligen Römischen Reich und der katholischen Kirche unterstützt wurden.
Die Hussitenkriege dauerten bis 1436 und hatten sowohl religiöse als auch politische Auswirkungen auf Böhmen und Mitteleuropa. Sie führten unter anderem zur Anerkennung der Utraquisten, einer gemäßigten hussitischen Gruppe, und veränderten die politische Landschaft in Böhmen langfristig. Auch wenn der erste Prager Fenstersturz weniger bekannt ist als der von 1618, markierte er doch einen wichtigen Wendepunkt und zeigt die frühzeitige Ablehnung kirchlicher und staatlicher Autoritäten durch reformatorische Bewegungen in Böhmen.
Der Zweite Prager Fenstersturz
Der zweite Prager Fenstersturz ereignete sich am 23. Mai 1618 und markierte den Beginn des Dreißigjährigen Krieges, der eine bedeutende Wende in der europäischen Geschichte einleitete. Der Vorfall fand im Prager Hradschin statt, dem Sitz der königlichen Verwaltung in Böhmen, genauer im Alten Königspalast der Prager Burg. Bei diesem Ereignis wurden zwei kaiserliche Statthalter, Wilhelm Slavata und Jaroslav Borsita von Martinic, sowie ihr Sekretär Philipp Fabricius von empörten Vertretern der protestantischen böhmischen Stände aus einem Fenster des Palasts geworfen. Der Sturz überlebten die Betroffenen nahezu unverletzt, ein Umstand, der je nach Perspektive als glücklicher Zufall oder als göttliches Eingreifen interpretiert wurde.
Auslöser des Konflikts
Der Auslöser für den Fenstersturz war die zunehmende religiöse und politische Spannungen im Heiligen Römischen Reich, speziell in Böhmen. König Matthias, der bis 1617 Böhmen regierte, hatte die Herrschaft über das Königreich an Ferdinand II. übertragen, einen überzeugten Katholiken und Habsburger, der die Rekatholisierungspolitik und die Stärkung des katholischen Glaubens anstrebte. Der Adel und die städtischen Eliten Böhmens, die mehrheitlich dem protestantischen Glauben angehörten, fühlten sich in ihren religiösen und politischen Freiheiten bedroht.
Ein zentraler Konfliktpunkt war der sogenannte Majestätsbrief von Kaiser Rudolf II. aus dem Jahr 1609, der den böhmischen Protestanten Religionsfreiheit garantierte. Als jedoch Ferdinand II. auf Anweisung seiner Vertreter begann, protestantische Kirchengebäude zu schließen und den Einfluss des Katholizismus zu verstärken, sahen die böhmischen Stände dies als Verstoß gegen den Majestätsbrief an und fürchteten den Verlust ihrer religiösen Autonomie.
Verlauf des Fenstersturzes
Am Morgen des 23. Mai 1618 marschierten protestantische Adelige und Bürger auf den Hradschin und stürmten den Alten Königspalast, um die königlichen Statthalter zur Rede zu stellen. In der hitzigen Auseinandersetzung eskalierte die Situation und mündete in den symbolträchtigen Akt der Defenestration: Die beiden Statthalter und ihr Sekretär wurden aus einem Fenster des zweiten Stocks geworfen, was den Protest der böhmischen Stände gegen die habsburgische Religionspolitik deutlich machte.
Folgen und Bedeutung
Der erste Prager Fenstersturz führte unmittelbar zur Bildung einer protestantischen Gegenregierung in Böhmen, die sich in Opposition zum katholischen Kaiserhof stellte. Die Spannungen in Böhmen eskalierten zum bewaffneten Konflikt, der schließlich in einem weiteren Verlauf in den Dreißigjährigen Krieg mündete. Ob jetzt der Prager Fenstersturz ursächlich für die Auslösung des Dreißigjährigen Krieges war, ist in der Geschichtswissenschaft umstritten angesichts der vielen Brandherde, die zu dieser Zeit existierten. Der Konflikt entwickelte sich auf jeden Fall von einem lokalen Machtkampf zu einem der verheerendsten Kriege des 17. Jahrhunderts, der große Teile Mitteleuropas verwüstete und erhebliche Verluste an Menschenleben und kulturellen Gütern zur Folge hatte. Politisch endete der Krieg erst 1648 mit dem Westfälischen Frieden, der die territoriale und religiöse Neuordnung Europas mit sich brachte.
Der Prager Fenstersturz von 1618 bleibt daher ein Schlüsselereignis der europäischen Geschichte und steht symbolisch für den religiösen und politischen Konflikt zwischen Katholiken und Protestanten im frühneuzeitlichen Europa.