Familie und Freunde Franz Kafkas
Die Situation in Prag um die Jahrhundertwende
Franz Kafka gehörte als deutschsprachiger Jude in zweifacher Hinsicht einer Minderheit an. So sprachen unter den 450.000 Einwohnern Prags um die Jahrhundertwende nur noch 34.000 deutsch. Doch prekärer als diese sprachliche Ghettoisierung war die Stellung der Juden als Prellbock innerhalb des gärenden Nationalitätenkonflikts in Böhmen. Die böhmischen Juden wurden von beiden Seiten, den Deutschen wie den Tschechen, beschuldigt, gemeinsame Sache mit dem jeweils verhassten Rivalen zu machen. Als treibende Kräfte des Industriezeitalters waren sie auf der einen Seite oft Handelspartner der Deutschen, die ihrerseits ihre gesellschaftliche und ökonomische Vormachtsstellung gegen die Forderungen des aufstrebenden tschechischen Nationalismus zu verteidigen suchten und auf der anderen Seite die historisch gewachsenen Handelsverbindungen und Mobilität der Juden im Interesse der Habsburger Monarchie auszunützen suchten. Aber im Alltag hatte man vor allem Umgang mit der tschechischen Bevölkerung.
Somit war den Juden das Auskommen mit beiden Bevölkerungsgruppen eine Grundvoraussetzung für die eigene Existenz. Doch dieser Zwang zur Anpassung wurde ihnen in der aufgeheizten Stimmung der Jahrhundertwende von beiden Seiten übel beleumdet und war in Krisenzeiten zumeist ein hoffnungsloses Unterfangen.